Sonntag, 5. Juni 2016

Was ist eine gute Religion?

Mein Beitrag zu einer Artikelserie der NZZ v. 23.02.2007:

Manche der Autoren, die sich schon geäussert haben, scheinen mir eher die Frage zu beantworten: «Was ist eine gute Konfession?» Aber bedeutet religiös zu sein nicht etwas anderes, als einer Konfession anzugehören? Ist nicht Religiosität eine Grundverfasstheit des Menschen, die in gewisser Weise «vor» oder «hinter» den verschiedenen Konfessionen und Denominationen liegt? Doch mag dies ein Streit um Worte sein, der hier nicht angebracht erscheint. Religionen im Sinne von Konfessionen definieren sich durch Abgrenzung: Wir glauben dies, andere glauben jenes. Wir stehen hier, die anderen stehen dort. Wir haben den rechten Glauben, die anderen leben im Irrtum. Damit ist klar, dass jede Religion missbraucht werden kann.
Es kann nicht darum gehen, Religionen zu verteufeln oder sie gar abzuschaffen, sondern ihr gemeinsames Fundament muss freigelegt werden. Nicht Abgrenzung darf mehr im Vordergrund stehen, sonst wird das Experiment Menschheit ein vorschnelles Ende finden, sondern Gemeinsamkeit. Und das Gemeinsame aller Religionen ist unbezweifelbar ihr mystischer Kern. Der hellsichtige Karl Rahner betonte, der Christ der Zukunft werde ein Mystiker sein oder er werde nicht mehr sein. Spirituelle Meister und Mystiker anderer Religionen widersprechen dem im Wesentlichen nicht, denn Sufismus, christliche Mystik, Zen-Buddhismus u. a. unterscheiden sich nicht im eigentlichen Kern, unterscheiden sich nicht in der grundlegenden Erfahrung der Einheit, in der Erfahrung, dass ein tiefer Seinsgrund alles Vorfindbare umfasst und trägt. Daher beantworte ich die Eingangsfrage wie folgt: Eine «gute Religion» ist jene Religion, die sich auf ihren mystischen Kern besinnt.




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