Donnerstag, 31. März 2016

Das Heil

Immer wieder stolpere ich über formelhafte und wohlfeile Verlautbarungen von Oberhirten. Diesmal ist es ein Tweet von Erzbischof Schick: "Kreuz Zeichen d.Treue!Jesus blieb Versprechen,uns Heil zu bringen,treu bis zum Tod.Ohne Treue keineLiebe,keinZiel.Heute überTreue nachdenken."

Ich kann damit nichts anfangen. So reagiere ich instinktiv mit der schnellen Frage, wo und wie genau Jesus das versprochen habe. Ich bekomme Antworten, zwar nicht vom Bischof selbst, jedoch von einem Kommentator. Er bringt eine Reihe von Zitaten aus dem Neuen Testament. Zum Beispiel: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", "Heute noch wirst Du mit mir im Paradies sein", "Ich bin die Tür..." oder "Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben... Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben" oder "Wenn das Weizenkorn, das in die Erde fällt, nicht stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt trägt es viel Frucht."
Ich weise darauf hin, dass all dies nicht den Kreuzestod Jesu voraussetzt. Schick hatte aber gesagt, das Kreuz sei Zeichen der Treue Jesu. Antwort: „Der Bischof hat  nicht behauptet, dass es nur so [gemeint ist: durch den Kreuzestod] geschehen konnte. Es war aber nun mal am Kreuz. Und daher ist im Kreuz ‚Heil‘.“

Das sind zugegebenermaßen schöne Bibelstellen, ich kenne sie. Doch können sie nicht belegen, dass Jesus sich zu Lebzeiten als denjenigen gesehen hat, der uns Heil bringen werde, etwa in dem Sinn, dass wir genau durch sein Sterben am Kreuz erlöst würden. Ich bin sicher, er hat geahnt, dass es zur endgültigen Konfrontation mit dem theologischen Establishment kommen werde, doch glaube ich nicht, dass er seinen Tod auf diese Weise gesucht hatte, um so die Menschheit zu „erlösen“. Er ist sich treu geblieben bis zuletzt, ist nicht davongelaufen.

Um welches „Heil“ geht es dem Bischof? Geht es um Heilung, um Heiligung, um ewiges Leben? Das bleibt offen. Es ist eine Formel, die den Gläubigen durch oftmaliges Hören vertraut ist. Das Kreuz als das „Heil“ zu sehen, wäre aber eine Verdinglichung. Wenn es um Heil geht, dann ist nicht das Kreuz, sondern dann ist Jesus Christus dieses Heil. Jesus ist der Weg, er ist die Wahrheit, er ist das Leben, er ist die Tür … Aber nicht in einem vordergründig wörtlichen Sinn, sondern so, wie Eckhart Tolle es andeutet:
„… Dein innerstes Wesen ist Wahrheit. Das versuchte Jesus mitzuteilen, als er sagte: 'Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.' Dieses Wort Jesu ist, wenn es richtig verstanden wird, einer der kraftvollsten und unmittelbarsten Hinweise auf die Wahrheit. Bei falscher Interpretation hingegen wird es zu einem großen Hindernis. Jesus spricht vom innersten 'Ich-bin', von der Wesensidentität aller Menschen und letztlich aller Lebensformen überhaupt. Er spricht von dem Leben, das wir sind. Einige christliche Mystiker haben es den 'innersten Christus' genannt; die  Buddhisten nennen es 'Buddhanatur' und die Hindus 'Atman', den uns innewohnenden Gott. Wenn du mit dieser Dimension in dir selbst in Berührung bist - und mit ihr in Berührung zu sein ist nicht etwa eine erstaunliche Leistung, sondern dein natürlicher Zustand -, spiegeln alle deine Handlungen und Beziehungen die Einheit mit allem Leben wider, die du tief innerlich spürst.“ [Eckhart Tolle. Eine neue Erde]


Die zitierten Behauptungen Schicks können in der vorliegenden Form nicht verteidigt werden. Schon gar nicht mit einer Pseudotheologie. Man kann sie als ohnehin Glaubender so stehen lassen, aber nicht rational begründen. Das ist jedenfalls schlechter Predigtstil, wie er den Gläubigen über Jahrhunderte hinweg zugemutet wurde. Und genau das ist es, was mich an dem Tweet so stört. Was soll jemand, der nicht ohnehin „auf Linie“ liegt, denn damit anfangen? Man wird belehrt, hat schweigend zuzuhören und das, was gelehrt wird, gläubig anzunehmen. Da werden einem ein paar Versatzstücke, die man so oder anders schon kennt, hingeworfen. Das war‘s dann auch.






Mittwoch, 30. März 2016

Feind der Kirche

Der Islam stecke in seiner tiefsten Krise, und das gelte auch für die westliche Welt. Sagt A. Görlach unter Bezugnahme auf Huntington hier. Der Feind des Westens sei nicht der Islam, sondern seine Gleichgültigkeit sich selbst gegenüber. ...

Auch die Kirche, der Katholizismus, befindet sich in einer Krise. Wer ist ihr Feind?, so würde ich fortfahren zu fragen. Der Feind der Kirche ist sie selbst.

Betrachten wir nur wenige Aspekte:
- das Beharren auf dem Status quo (sogenannte Tradition)
- die permanente Nabelschau
- das Festhalten am Primat und an der Unfehlbarkeit
- die Scheinheiligkeit (zum Beispiel in Würzburg angesichts eines mutmaßlichen Missbrauchsfalles)
- das spätimperiale Gebaren (fürstbischöfliches Auftreten, kaiserliche Gewänder)
- das wohlfeile permanente Gerede über Gott und seinen Willen
- das Verhalten insgesamt, das in konträrem Gegensatz zur Verkündigung steht.

Welche Antworten hat die Kirche auf die Fragen der Menschen? Da wird von katholisch.de zum "Mittwoch in der Osteroktav" ein Tweet abgesetzt: "Etwas Fremdes umgibt den Auferstandenen, so dass Maria von Magdala ihn nicht gleich erkennt." Das ist im Grunde ein schöner Satz. Für den, der das alles seit Jahrzehnten kennt. Denn Jesus ist zwar unser Bruder, doch ist er darüberhinaus viel mehr, er ist die Inkarnation des im "unzugänglichen Licht" wohnenden Logos, der an Ostern in einen anderen Seinszustand übergegangen ist ...

Und dann kommen einige Fragen eines Users, der sich Omar nennt: Was ist das für ein Gott der geboren wird? Der krank wird? Der stirb? Daraufhin wieder aufersteht und dann wieder geht?

Habt ihr eine Antwort für den Fragesteller? Ihr klugen und gelehrten Theologen, die ihr ununterbrochen von Gott redet, als wüsstet ihr Bescheid? Was sagt ihr ihm? Mag sein, dass in seinen Fragen ein bisschen Polemik mitschwingen mag, und doch verdienen sie eine Antwort.

Ich fürchte allerdings, es werden keine Antworten kommen. Ihr seid es gewohnt zu predigen, aber auf grundlegende Fragen seid ihr nicht eingestellt, die überlasst ihr den berufsmäßigen Theologen, ihr selbst habt kein Interesse an einem wirklichen Gespräch.








Dienstag, 29. März 2016

Weißer Sonntag

Weißer Sonntag. So nennt man den Sonntag - meist ist es der Sonntag nach Ostern -, an dem Kinder erstmals die Kommunion empfangen.

Was zieht man an? Scheint für viele immer noch die wichtigste Frage zu sein. Weißes Kleid für die Mädchen, schwarzen oder dunklen Anzug für die Buben. Wer es sich halt leisten kann. Verweltlichung der Kommunionfeier. [Fundstelle] Dabei wäre längst Entweltlichung angesagt.

Und die Kommunion als Belohnung für gutes Verhalten, für Sündenreinheit? So hat man das zwar nicht explizit formuliert, aber im Hintergrund schwang diese Einstellung nicht nur in der Vergangenheit sehr wohl mit. Magische Verdinglichung der Gnade?

Beides ist immer noch da: Verweltlichung und Verdinglichung.

Die Kirche muss endlich anfangen, ihre Prinzipien zu überdenken. Dann würde sie vielleicht wieder Menschen ansprechen können, die auf der Suche sind. Dann bräuchte ein Bischof nicht mehr zu klagen, die Kirche sei keine Volkskirche mehr. [Fundstelle]

Wann ist eine Kirche Volkskirche? Wenn sie die Mehrheit der Mitbürger zu ihren Mitgliedern zählt oder wenn sie grundsätzlich für alle offen ist? Für alle! Und nicht nur für jene, die den Katechismus auswendig gelernt haben, die brav zur Beichte gehen und dann zur Belohnung die Kommunion erhalten.





Montag, 28. März 2016

Miss oder nicht -Brauch?

Heute ist "Emmaustag", den ich liebe. Ich wollte also über eine der für mich schönsten Stellen im Neuen Testament schreiben. Doch aus aktuellem Anlass nehme ich ein anderes Thema:


Im aktuellen Spiegel (Ostersamstag, 26.03.2016) wird über einen vermutlichen Missbrauch im Bistum Würzburg berichtet. Es geht hier nicht um die Details. Nicht darum, dass der Beschuldigte selbst langjähriger Missbrauchsbeauftragter des Bistums war oder dass die Angelegenheit schon 25 Jahre zurück liegt.

Es geht aber darum, dass der Fall vom Münchner Kirchengericht untersucht wurde mit dem Ergebnis: "Eine Wahrscheinlichkeit, dass die behauptete Straftat begangen wurde ... sei nahezu auszuschließen." Der Spruch des Kirchengerichts ist unanfechtbar. Und doch ist der jetzige Missbrauchsbeauftragte – Kriminologe an der Universität Würzburg – gegenteiliger Ansicht: "Es bleibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dieser Geistliche als mutmaßlicher Täter in Betracht kommt."

Einerseits hatte der Würzburger Bischof ganz allgemein gesagt: "Wir brauchen den Kontakt zu den Opfern, die im Mittelpunkt stehen" und auf der anderen Seite stärkte er dem beschuldigten Geistlichen den Rücken mit dem Satz: "Ich vertraue Ihnen voll."  Die dem Spiegel vorliegenden Akten würden den Eindruck erwecken, "als habe nicht der Beschuldigte im Zentrum des Prozesses gestanden – sondern sein mutmaßliches Opfer. Kaum etwas ließen die Kirchenrichter unversucht, um die Person der Anzeigeerstatterin infrage zu stellen." Bis heute, so der Spiegel, habe niemand aus der Bistumsspitze dem mutmaßlichen Opfer seelsorgerisch beigestanden.

Der Bischof von Würzburg sagte in seiner Osterpredigt 2016 [Fundstelle]:
„… Bei vielen Menschen in unserem Land scheinen die Frohe Botschaft der Auferstehung Jesu und damit der Glaube an unsere eigene Auferstehung nicht mehr anzukommen. Ich will davon schweigen, was viele unserer Mitmenschen heute noch unter ‚Ostern‘ verstehen. Es ist zum Teil absurd und beschämend.“ … „Es hängt … davon ab, ob wir uns von dieser Botschaft der Auferstehung ergreifen lassen und aus dieser Perspektive heraus unsere Lebensentscheidungen fällen. Nur dann wird diese sensationelle, hoffnungsvolle Nachricht auch ihre Wirkung zur Verbesserung der Welt entfalten können.“

Wie wird die heute 44-jährige Frau, die den Missbrauch beim Bistum angezeigt hat, Ostern erlebt haben? Wird die vom Bischof verlesene Frohe Botschaft bei ihr ankommen? Oder wird sie das Verhalten der Diözese, um es mit Worten aus der Bischofspredigt zu sagen, als „absurd und beschämend“ empfinden?


Noch am Ostersonntag gab das Bistum eine im Grunde nichtssagende Zusammenfassende Stellungnahme zu der Darstellung im Spiegel heraus. [Fundstelle] Sie geht am eigentlichen Anliegen des Artikels im Spiegel haarscharf vorbei.


Nachtrag: Auf Grund des Artikels im Spiegel hat sich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet um vor allem zu prüfen, ob oder inwieweit der "Fall" verjährt ist.









Sonntag, 27. März 2016

Surrexit

Aus der mittelalterlichen Osterliturgie:

Interrogatio. Quem quaeritis in sepulchro, o Christicolae?
Responsio. Jesum Nazarenum crucifixum, o caelicolae.
Angeli. Non est hic; surrexit, sicut praedixerat. Ite, nuntiate quia surrexit de sepulchro.



Samstag, 26. März 2016

Neuer alter Atheismus

Religion und Glaube werden in Europa zunehmend hinterfragt, in vielen anderen Regionen gewinnen religiöse Gruppierungen jedoch an Macht, auch weil sie sich, vereinfacht gesagt, von der Politik instrumentalisieren lassen. So thematisiert der aktuelle Spiegel nicht von ungefähr den "missbrauchten" Glauben. 

Auch der Atheismus ist auf dem Vormarsch. Der Biologe Dawkins gilt weltweit als prominentester Vertreter eines "neuen Atheismus", wenn nicht gar als "selbsternannter Missionar des Atheismus". [Fundstelle]


Sein Credo lautet: "Religion ist irrational, fortschrittsfeindlich und zerstörerisch." Der Glaube an Gott sei nicht vernünftig. Religion schade einer Gesellschaft und sei "die Wurzel aller Übel". Und weiter: Die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes sei "sehr gering". Existierte Gott, sähe die Welt völlig anders aus. 
Auch wenn ich keines von Dawkins' Büchern gelesen habe, so erinnern mich seine Auffassungen, die in den Zitaten deutlich werden, in ihrer Naivität doch ein bisschen an jene Russen, die nach Rückkehr aus einer Erdumlaufbahn meinten, einen Gott hätten sie dort oben nicht gesehen.

Wenn man die Religionen, die es heute gibt, von außen anschaut, so mag man geneigt sein, Dawkins recht zu geben. Da ist tatsächlich viel Irrationales, Fortschrittfeindliches und auch Zerstörerisches zu finden. Die Religionen haben allen Grund, die Kritik, auch wenn sie weit überzogen sein mag, ernst zu nehmen. 

Im Grunde ist es ein Zerrbild von Religion, gegen das der Atheist hier ankämpft. Vom Seinsgrund, von dem die Mystiker sprechen, hat er wohl nichts gehört. Er scheint auch zu ignorieren, dass hochangesehene Physiker, Naturwissenschaftler also wie er selbst, sich mit ihren Gedanken den Auffassungen sowohl westlicher wie auch östlicher Mystik mehr und mehr annähern. Vom "Weltinnenraum" hat Dawkins im Grunde keine Ahnung. 






Donnerstag, 24. März 2016

Das Tao

Wenn jemand, den du nicht kennst und der dich nicht kennt, dir von etwas erzählt, was er nicht kennt, dann bist du in einer Kirche. [Marco Aldinger]

Wenn jemand nach dem Tao fragt, und ein anderer antwortet ihm, dann weiß es keiner von beiden. [Chuang-tzu]

Mit Gott ist es genauso.

[NN]






Gründonnerstag

Jesus feiert mit seinen Vertrauten das Abendmahl vor seiner Gefangennahme. Er ahnt oder vielmehr weiß, dass dies das letzte gemeinsame Mahl sein wird. Er taucht ein Stück Brot in den Wein, reicht es ihnen und sagt: Wann immer ihr das tut, tut es zu meinem Gedächtnis. Dies sei sein Fleisch und sein Blut.

Und die Kirche hat das wörtlich genommen, hat es verdinglicht, hat es mit der Ordination in Verbindung gebracht. Nur Geweihte haben nach ihrer Auffassung die Vollmacht, Brot und Wein in Jesu Fleisch und Blut zu verwandeln. In der sogenannten Wandlung. Sic.

Schon in einem Streitgespräch in der Synagoge zu Kapharnaum hatte Jesus gesagt, sein Fleisch müsse gegessen, sein Blut müsse getrunken werden. Bis heute wurde vielfach nicht verstanden, dass es sich um eine Metapher handelt, "dass Jesus mit dem Essen seines Fleisches und dem Trinken seines Blutes auf die Aufnahme seiner Lehre hinweist." [Fundstelle]

Jan Heilmann zeigt in seiner Dissertation, dass es nach dem Evangelisten Johannes Jesus nicht um seinen Körper, sondern um seine Worte gegangen ist. Das ist eine befreiende Botschaft, die mit dem, was ich innerlich fühle, sehr gut zusammenstimmt. Sie nimmt Jesus nichts von seiner Größe, aber uns, den sogenannten Gläubigen, schafft sie einen weiten Horizont.









Mittwoch, 23. März 2016

Schnelldiagnose

Der geistliche Grundwasserspiegel sinkt, konstatiert der immer noch junge Bischof von Passau, der frühere Salesianerpater Oster, und als Konsequenz werde damit zu rechnen sein, dass in einigen Jahren die eine oder andere Kirche geschlossen werden muss. [Fundstelle]

Oha. Schnelldiagnose und schnelle Lösung? Nein, so einfach ist die Sache nicht. Was der Bischof übersieht (vielleicht auch: Was in der Mitteilung übergangen wird), ist die Frage nach dem Zustand der Kirche.

Die Kirche hat noch nicht mitbekommen, dass die Menschen nicht mehr an Dogmen, Enzykliken oder sonstigen peripheren Verlautbarungen interessiert sind. Der Buchstabe tötet, der Geist aber gibt Leben. Die Menschen können mit einem anthropomorphen Gottesbild nichts mehr anfangen, aber sie sind auf der Suche, vielleicht mehr als in früheren Jahrhunderten. Enomiya-Lassalle schreibt gerade auch davon.

Statt schnelle Pseudolösungen aus dem Hut zu zaubern, müsste die Kirche nach innen gehen. Auch das gehört zum Aggiornamento, das jetzt zum 50. Jahrestag des Zweiten Vatikanums manchmal beschworen, häufiger aber eher verlegen erwähnt wird. Erkenne die Zeichen der Zeit!






Dienstag, 22. März 2016

Wahrheit

"Was ist Wahrheit?", fragt Pilatus. Tolle gibt eine Antwort:

"Es gibt nur eine absolute Wahrheit, von der alle anderen Wahrheiten ausgehen. ...
Die Wahrheit ist untrennbar mit dem verbunden, was du bist. Ja, du bist die Wahrheit. Wenn du sie anderswo suchst, wirst du jedesmal getäuscht werden. Dein innerstes Wesen ist Wahrheit. Das versuchte Jesus mitzuteilen, als er sagte: 'Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.' Dieses Wort Jesu ist, wenn es richtig verstanden wird, einer der kraftvollsten und unmittelbarsten Hinweise auf die Wahrheit. Bei falscher Interpretation hingegen wird es zu einem großen Hindernis. Jesus spricht vom innersten 'Ich-bin', von der Wesensidentität aller Menschen und letztlich aller Lebensformen überhaupt. Er spricht von dem Leben, das wir sind. Einige christliche Mystiker haben es den 'innersten Christus' genannt; die  Buddhisten nennen es 'Buddhanatur' und die Hindus 'Atman', den uns innewohnenden Gott. Wenn du mit dieser Dimension in dir selbst in Berührung bist - und mit ihr in Berührung zu sein ist nicht etwa eine erstaunliche Leistung, sondern dein natürlicher Zustand -, spiegeln alle deine Handlungen und Beziehungen die Einheit mit allem Leben wider, die du tief innerlich spürst. Das ist Liebe. Gesetze, Gebote, Regeln und Verordnungen sind für diejenigen notwendig, die von sich selbst, von der Wahrheit im eigenen Innern abgeschnitten sind. Sie verhindern die schlimmsten Exzesse des Ego, aber manchmal nicht einmal das. 'Liebe und tue, was du willst', hat der heilige Augustinus gesagt. Näher an die Wahrheit heran können Worte kaum kommen."

[Eckhart Tolle. Eine neue Erde]








Montag, 21. März 2016

Die vier großen Gelübde

Im Zen-Seshin werden am Abend die vier großen Gelübde gesprochen:

Die Lebewesen sind zahllos,
ich gelobe, sie alle zu retten.
Täuschende Gedanken und Gefühle sind grenzenlos,
ich gelobe, sie alle zu lassen.
Die Dharmatore sind unzählbar,
ich gelobe, sie alle zu durchschreiten.
Der Weg des Erleuchteten ist unvergleichlich,
ich gelobe, ihn zu verwirklichen.

Sie passen gut zum Beginn der Karwoche.






Sonntag, 20. März 2016

Aggression und Frieden

Was haben wir dem Leid und Terror der Welt entgegenzusetzen? Revolution und Terror beginnen nicht auf den Barrikaden und bei den Bomben, sondern in einem Energiefeld, das Menschen durch Hass und Aggression erzeugen. Und umgekehrt: Deswegen können wir Terror, Hass und Aggression auch nur durch entgegengesetzte Felder des Friedens und der Liebe aus der Welt schaffen.

[Willigis Jüger. In jedem Jetzt ist Ewigkeit]





Samstag, 19. März 2016

Mann im Hintergrund

Vor nicht allzu langer Zeit hat der Kurienerzbischof Gänswein das Domkapitel der Diözese Limburg zum Rücktritt aufgefordert. Nun wiederholt er in einem Interview eine Rüge, die schon der Papst dem deutschen Episkopat gegenüber ausgesprochen hat. Es mangle der deutschen Kirche an Glaubenszeugnis, während die Kassen voll seien, würden die Kirchen leider immer leerer. Usw. usf. [Fundstelle]

Außerdem ist ihm wichtig zu betonen, man solle für die Veränderungen unter Papst Franziskus nicht die historisch etwas belasteten, schwammigen und erklärungsbedürftigen Begriffe wie "reformieren" oder "Reformation" verwenden. Deutet weiterhin an, schnelle Kursänderungen der Kirche seien nicht zu erwarten, denn diese sei kein Paddelboot, sondern ein großes Schiff, das mit Bedacht, Klugheit und Tiefgang gelenkt werde. Hough, er hat gesprochen.

Ach, da war noch was: An Papst Franziskus schätze er die Klarheit und Menschlichkeit, die jeden berühre. Ein Gegenrudern im Vatikan gebe es nicht, doch könne es sein, dass die Schnelligkeit und Heftigkeit, mit der Franziskus vorgehe, manchen Schwierigkeiten bereite.

Wie soll man diese erlauchten Einlassungen nun verstehen? In welchem Auftrag spricht und handelt Gänswein? Sind auch seine Äußerungen ein Versuch, Franziskus implizit zu ermahnen oder gar zu domestizieren?

Denn man kann seine Worte auch folgendermaßen verstehen: Franziskus mag zwar Änderungen anstoßen oder herbeiführen, aber um eine "Reformation" handle es sich auf keinen Fall. (In Parenthese: Was am Begriff "Reformation" schwammig sein mag, kann nicht einleuchten. Hier wäre Gänswein in der Erklärungspflicht.) Vielmehr möge er das große "Schiff Kirche" mit Bedacht, Klugheit und Tiefgang lenken.

Wie immer es sei: Das Interview Gänsweins liegt hervorragend in einer Linie mit dem neuen Ratzinger-Buch (wie war gleich nochmal der Titel?) und den Äußerungen von Müller. Eine konzertierte Aktion? Honi soit, qui mal y pense.








Freitag, 18. März 2016

Eine Art Flurbereinigung

Weniger Priester, weniger Gläubige, weniger kirchliches Leben, heißt es auf katholisch.de. Im Bistum Würzburg soll die Zahl der Pfarreien künftig drastisch reduziert werden. Es sollen Großpfarreien entstehen, so ein Konzept, mit dem eine "Pastoral der Zukunft" verfolgt werde. Die Laien sollen zwar das Leben der Gemeinden vor Ort gestalten, doch dürfe die Verantwortung der Pfarrers nicht übergangen werden (sic!).

"Pastoral der Zukunft" klingt gut, ist es aber nicht, denn das Konzept ist weiterhin auf den ordinierten Geistlichen hin ausgerichtet und orientiert sich am Mangel, es hat keine Zukunft. 

Frauenordination würde das Problem des Priestermangels vermutlich für eine gewisse Zeit lösen, auf Dauer wohl aber nicht beheben können. Die Kirche sollte sich von einer Versorgungsmentalität und von ihrem Zentralismus lösen.

Idee: Warum kann nicht jede gewachsene Gemeinde, und sei sie noch so klein, aus ihrer Mitte heraus eine Frau oder einen Mann bestellen, die oder der mit ihr zusammen Eucharistie feiert. Dazu bräuchte man nicht Theologie studiert haben, es müsste auch nicht unbedingt gepredigt werden. Unterstützt würden diese Gemeinden weiterhin von den amtlichen Klerikern. Diese sollten aber möglichst nicht "Kirchenbeamte" sein, sondern spirituelle "Meister", keine Gurus, sondern Vorbilder, die schon durch ihr Da-Sein ein "spirituelles Feld" schaffen, um es mal so zu formulieren.






Der Professor

Bemedikt XVI lobt seinen Nachfolger, so kann man jetzt allenthalben lesen, zum Beispiel hier.

Hm. Ist das nicht schön: Der "Ex" lobt den Neuen. In seinem neu erschienen Buch. Alles bestens.

Nein, nicht alles. Mich stört, dass der Emeritus sich öffentlich über den Nachfolger, wenn auch (scheinbar) positiv, äußert. Ich empfinde das als unpassend, wenn nicht ungehörig.

Denn er lobt, wie es scheint, nicht Franziskus insgesamt, sondern als Teilaspekt nur dessen Akzentuierung der Barmherzigkeit. Es sei ein Zeichen der Zeit, dass die Idee der Barmherzigkeit immer dominierender wird. (Warum nur die Idee und nicht die Barmherzigkeit selbst. Das ist professorales Gerede.) Franziskus hat das also nicht selber "erfunden", sondern stehe in der Tradition des Wojtyla-Papstes, der sich seinerseits auf die von ihm heiliggesprochene polnische Mystikerin Faustina stützt. Franziskus liege hier voll auf der Linie. 

Ähnlich hat vor kurzem schon "Glaubenshüter" Müller argumentiert. Auch ihm war wichtig zu zeigen, dass Franziskus Bestehendes und Begonnenes nun fortführe, sein Reformprogramm sei jedenfalls "nichts revolutionär Neues". [Fundstelle]

Ach ja: Die Rückenstärkung durch seinen Vorgänger sei für Franziskus eine große Hilfe, wird eigens betont.

Alles in allem genommen ist dies nach meinem Empfinden keine Rückenstärkung, absolut nicht, sondern im Gegenteil der Versuch, den charismatischen Franziskus zu vereinnahmen und kleinzureden. Um dann weitermachen zu können, wie bisher. Business as usual.

Interessant wäre zu erfahren, ob auch Gänswein im Hintergrund seine Hand mit im Spiel hatte ...








Donnerstag, 17. März 2016

Der "Neue"

Der "Neue", gemeint ist Papst Franziskus, sei gar nicht so neu, wurde mir kurz auf eines meiner Tweets geantwortet.

Stimmt. Franziskus ist nicht neu, er ist fast achtzig Jahre alt, hat eine intensive jesuitische Ausbildung und Schulung absolviert und bringt viele, viele Erfahrungen in der Seelsorge bei den Armen in Argentinien mit. Er betont, wie einige seiner Vorgänger im Amt, die Barmherzigkeit Gottes und steht voll auf den unverrückbaren Grundlagen kirchlicher Lehre. Also alles wie gehabt?

Nein, ganz und gar nicht. Franziskus hat wie noch keiner der Päpste vor ihm der Kurie die Leviten gelesen, hat "fürstlichen" Lebensstil als hohen Kirchenvertretern unangemessen angeprangert, will den römischen Zentralismus aufbrechen, indem er die synodale Seite der Kirchenstruktur betont (Hans Küng hat vor 50 Jahren schon darüber geschrieben), und er wird im April das päpstliche Schlussdokument zu den beiden Synoden (Thema: Ehe und Familie) veröffentlichen. Dieses werde revolutionär sein, heißt es heute hier. Kardinal Walter Kasper habe angedeutet, es werde den Anfang der größten Revolution in der Kirche seit 1500 Jahren bedeuten.

Wenn das alles nicht neu ist. Der "Neue" ist also nicht nur nicht "alt" im Sinne von verknöchert, sondern er ist ein Jungbrunnen für die Kirche. Viele setzen ihre Hoffnung gerade auf ihn. Es gibt nicht viele von seiner Statur.







Bewegliches Gnadenmittel

Auf katholisch.de wird mitgeteilt, dass in Wales, in der Diözese Wrexham, nun eine bewegliche Heilige Pforte unterwegs sei, und zwar als Angebot für kranke und weniger mobile Menschen. Auch ihnen soll dadurch ein Ablass ermöglicht werden.

Hallo. Das ist eine Steigerung, eine schier unüberbietbare, wie es scheinen könnte. Sie hat mich denn auch zu einem spontanen Ausruf animiert, der zu einem kleinen Austausch von Tweets mit katholisch.de geführt hat.

Die Geste ist gut gemeint, ohne Zweifel. Die Kirchenführung hat sich Gedanken gemacht. Es geht ja darum, Barmherzigkeit allen Menschen, die das wollen, "erfahrbar" zu machen.

Ich bin allerdings der Meinung, dass dieses Anliegen verfehlt wird. Denn durch die bewegliche "Heilige Pforte" wird die Verdinglichung der Gnade (und der damit einhergehende magische Aspekt) noch einmal mehr betont. Und die Kirche stellt sich wieder als die Vermittlerin der Gnaden dar: Du musst nur die von der Kirche vorgesehen Schritte vollziehen: Beichte, Kommunionempfang und Durchschreiten eben dieser Pforte, dann hast du nicht nur die Vergebung der Sünden, sondern auch einen Nachlass auf deine zeitlichen Sündenstrafen erlangt.

Die Gläubigen werden damit im Grunde unmündig gehalten, und die Macht der Kirche ist ein weiteres Mal zementiert. Die Menschen haben ja schon einen "Mittler", Christus, und sie haben unmittelbaren Zugang zu Gott. Was sie brauchen, sind nicht Prediger, also nicht Menschen, die wohlfeil über den unerkennbaren Gott sprechen, sondern die selbst
eine Gotteserfahrung gemacht haben. 





Montag, 14. März 2016

Marionetten

Albert  Einstein sagte einmal, es sei einfacher, ein Atom zu spalten, als ein Vorurteil zu zerstören. Viele Menschen sind nicht sie selbst, sondern werden irgendwie kontrolliert. Was folgt daraus? Sie werden gleichsam zu Marionetten - verhalten sich, fühlen und handeln mechanisch. Sie haben keine lebendigen Gefühle und kein lebendiges Verhalten und wissen es nicht. Sie reagieren auf Stimmen aus der Vergangenheit, auf Erfahrungen, die sie gemacht haben. Bestimmte Erfahrungen, von denen sie beeinflusst wurden, die sie kontrollieren. Darum sind sie auch nicht frei, nicht lebendig. Hier liegt das größte Hindernis für ein spirituelles Leben.

[Anthony de Mello. Die Fesseln lösen]





Sonntag, 13. März 2016

Abendmahl

Ein evangelischer Pfarrer will am Palmsonntag das kirchliche Abendmahl für Fernsehzuschauer anbieten, heißt es hier. Er will das für Menschen tun, die das Haus zum Beispiel aus Gesundheitsgründen nicht verlassen können.

Mir gefällt der Gedanke, weil dadurch die Abendmahlsfeier von ihrer Fixierung auf den evangelischen Pfarrer oder den katholischen Priester gelöst wird.

Jesus hat beim Brotbrechen gesagt, so heißt es im Evangelium: Tut dies, wann immer ihr es tut, zu meinem Gedächtnis.

Er hat nicht gesagt, das dürften nur seine engsten Jünger tun, er hat auch niemanden durch Handauflegung eigens dazu ermächtigt. Ich fühle mich von der Aufforderung Jesu, auch wenn ich als theologischer "Laie" zu gelten habe, sehr angesprochen.

Das Gedächtnis Jesu setzt keine wie auch immer geartete Weihe voraus und schon gar kein verdinglichtes Weihe- oder Sakramentsverständnis. Es kann meiner Meinung nach am Familientisch zu Hause gefeiert werden, und Jesus wird anwesend sein. Denn wo immer zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, da ist er mitten unter ihnen. Das hat er selbst versprochen.





Samstag, 12. März 2016

Gott

Gott ist nicht so, wie wir uns vorstellen, dass er sei; nichts von alldem, was wir uns vorstellen oder in Gedanken fassen. Das ist das Verkehrte an Worten und Gedanken. Die meisten Leute sind in den Bildern verfangen, die sie sich von Gott gemacht haben. Das ist das größte Hindernis auf dem Weg zu Gott.

[Anthony de Mello. Die Fesseln lösen]





Freitag, 11. März 2016

Organspende - ja oder nein?

Gedanken und Fragen zum Thema Organspende

1.      Die großen Kirchen in Deutschland, die katholische und die evangelische, befürworten die Organspende. Denn: Ist es nicht Christenpflicht, seine Organe am Lebensende jemandem, der sie dringend braucht, zur Verfügung zu stellen? Ein  Werk der Barmherzigkeit also. Schon im alten Rom galt ja: Dulce et decorum est pro patria mori.

2.      Dass man einem nahestehenden Menschen im Notfall freiwillig eines seiner paarigen Organe zur Verfügung stellt, kann hier außer Betracht bleiben, denn der Spender muss zum Zeitpunkt der Organentnahme nicht tot sein. Frank-Walter Steinmeier, der seiner Frau eine Niere spendete, hat vorbildlich gehandelt.

3.      Anders ist es am Lebensende. Spirituelle Traditionen weisen darauf hin, wie wichtig es ist, seinen Tod zu vollenden, denn der Verstorbene braucht eine gewisse Zeit, bis sich die Seele vom Körper gelöst hat (nachzulesen etwa im Tibetischen Buch vom Leben und Sterben, auch unsere Altvorderen wussten noch davon).

4.      Der Organspender kann seinen Tod aber nicht in diesem Sinn vollenden, er ist zu dem Zeitpunkt, zu dem ihm Organe entnommen werden, noch nicht „wirklich“ tot. Er ist zwar hirntot, wie man sagt, aber die elementaren Lebensfunktionen müssen noch funktionieren, andernfalls wären seine Organe für eine Transplantation nicht mehr brauchbar. Es gibt genügend Berichte, in denen geschildert wird, dass der Organspender bei der Entnahme der Organe festgebunden oder anderweitig sediert werden muss, was darauf hindeutet, dass der Körper sich gegen die Organentnahme bei lebendigem Leib in irgendeiner Weise wehrt.

5.      Warum besteht in unserer Gesellschaft so großes Interesse an der Organspende, dass man als Spender gilt, ehe man zu Lebzeiten nicht förmlich widersprochen hat? Eigentlich müsste es umgekehrt sein. Es scheint, als seien Organhandel und –transplantation ein gutes Geschäft. Wer profitiert davon? Wie hoch sind die Gewinnspannen?

6.      Wie viele Ärzte und kirchliche Würdenträger haben nicht nur Organspende propagiert, sondern sich selbst als Organspender zur Verfügung gestellt? Liegt der prozentuale Anteil bei diesen Berufsgruppen höher oder niedriger als bei der übrigen Bevölkerung?

7.      Die eindeutige und in gewissem Sinn einseitige Parteinahme der Kirchen lässt sich vielleicht aus einer latent noch vorhandenen manichäischen Leibfeindlichkeit heraus verstehen. Die generelle Haltung ist ja die, dass der Mensch auf das „Jenseits“ hin lebt, die physische Existenz wird als Durchgangsstation betrachtet. „Herr, hilf mir meine Seele retten“, wird mancherorts gebetet. Denn auf die Seele, so bin ich geneigt zu ergänzen, kommt es an, der Leib kann ausgeschlachtet werden.










Donnerstag, 10. März 2016

Formeln

Das, "was wirklich wichtig ist - Leben, Liebe, Wirklichkeit, Gott -, das kann Sie niemand lehren. Das einzige, was man tun kann, ist Ihnen Formeln in die Hand zu geben. Und haben Sie eine Formel, haben Sie die durch den Verstand eines anderen gefilterte Wirklichkeit. Verwenden Sie diese Formeln, sind Sie eingesperrt. Sie welken dahin; und sterben Sie, haben Sie nicht erfahren, was es heißt, selbst zu sehen und selbst zu lernen. ...

Ausziehen aus der Welt der Menschen wie die Propheten und Mystiker heißt nicht, die Gesellschaft zu verlassen, sondern ihre Formeln. Wenn Sie auch von Menschen umgeben sind, sind Sie doch in Wirklichkeit ganz allein. Eine erschreckende Einsamkeit! Diese Einsamkeit, dieses Alleinsein ist Schweigen. Nur dieses Schweigen werden Sie sehen Und in dem Augenblick, in dem Sie sehen, werden Sie jedes Buch, jeden Führer und jeden Guru von selbst aufgeben."

[Anthony de Mello. Wie ein Fisch im Wasser]





Mittwoch, 9. März 2016

Welche Stimmung?

In einem Spiegel-Interview (Nr. 10 v. 5.3.2016) sagt der Soziologe Heinz Bude, der an der Universität Kassel lehrt, in Deutschland herrsche "seit einiger Zeit eine Stimmung der Gereiztheit, die angesichts der Flüchtlingsfrage nun offensichtlich wird." Das Interview ist lesenswert - nicht nur, weil statt der wohlfeilen Vokabel "Flüchtlingskrise" das neutralere "Flüchtlingsfrage" verwendet wird -, sondern weil es anregen kann, darüber nachzudenken, welche Stimmung wohl in anderen Organisationen oder Institutionen herrschen mag. Zum Beispiel in der Kirche.

Ich nehme in der Kirche eine Stimmung der Vergeblichkeit wahr. Vielleicht nicht in der ganzen Kirche, sondern nur in der Kirche des Westens oder in der Kirche, wie ich sie kennengelernt habe.

Vergeblichkeit? Ja, Vergeblichkeit. Denn in der Kirchenleitung hat man per se immer Recht, es gibt auf alles eine Antwort, und es sind die immer gleichen Antworten. Dringende Wünsche nach Veränderungen etwa in Richtung Aufhebung der Infallibilität, wie sie der 87-jährige Hans Küng nun wieder äußert, oder hinsichtlich der längst überfälligen Frauenordination werden abgeschmettert, denn sie stoßen auf unüberwindliche Hindernisse: Hindernisse im Kirchenrecht, in den Dogmen, in der "Schrift", in der Tradition, da vor allem. Wenn gar kein Argument mehr bleibt, dann heißt es: "Die Gläubigen würden das nicht verstehen." 

Die Kirche hat nicht nur alle Antworten gepachtet, nein, mehr noch, sie verfügt auch über alle Fragen. Und die findet man in einem Monsterwerk namens Katechismus, abgefasst in kaum erträglichem Theologen-Sprech.

Das einzige, was die Gläubigen "nicht verstehen", ist die grundsätzlich starre und abwehrende Haltung der Kirchenbeamten. Statt in eine Diskussion einzutreten, wird man  mit warmen Worten vertröstet, zum Beispiel so: Geht doch zur Beichte, jetzt im heiligen Jahr der Barmherzigkeit, denn es gibt keine Sünde, die Gott nicht vergeben kann. Ach, wie gut sie alle über Gott Bescheid wissen. Und der Papst selbst setzt sich spektakulär und fast bühnenreif in einen Beichtstuhl und "nimmt die Beichte ab". Beichte als Herrschaftsinstrument.

Also Vergeblichkeit? Ja, beinahe. Wenn es nicht auch andere Stimmen gäbe, zum Beispiel die des absolut unverdächtigen Dalai Lama: "Ich glaube an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle Heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotenzial in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen." (zit. nach OHA.Zeitung aus dem Pfaffenwinkel März 2016)












Dienstag, 8. März 2016

Frauen und Kirche

Franziskus sagt, Priesterinnen oder Kardinälinnen wird es nicht geben. Punkt.[Fundstelle]

Doch wurde das Amt des Kardinals erst im 11. Jahrhundert geschaffen. Warum soll man nicht heute ein Amt für weibliche Kardinäle neu begründen? Alles eine Frage des Kirchenrechts, das heißt: eine Frage des Willens.

Und Priesterinnen? Jesus hat keine Priester im heutigen Sinn ernannt oder gar geweiht. Er hatte Jünger und Jüngerinnen, Männer und Frauen, die ihm nachgefolgt sind. Frauen standen unter dem Kreuz, von Männern hat man nicht viel gesehen. Später gab's Diakone und Diakonissen. Vom Dienst als Presbyter hat man sie ausgeschlossen.

Das alles wurde tausendmal und öfter diskutiert. Und nun ist es hohe Zeit, dass sich das Binnenklima in der Kirche ändert. Ein ermutigender Schritt mag eine Diskussionsveranstaltung in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg mit dem Thema "Atmosphärische Störungen" sein.




Montag, 7. März 2016

Heiligsprechung

Am 15. März soll im Vatikan eine letzte Beratung zur Heiligsprechung von Mutter Teresa stattfinden. [Fundstelle]

Stellt sich die Frage: Heiligkeit, was ist das?

Anthony de Mello, indischer Jesuit und Psychologe, gibt folgende Hinweise:

1. Die erste Eigenschaft der Heiligkeit ist das eigene Nichtwissen um sie.
2. Das zweite Kennzeichen liegt darin, dass sie keiner Anstrengung bedarf.
3. Ein drittes Merkmal der Heiligkeit: Sie kann nicht gewollt werden.

[Anthony de Mello. Wie ein Fisch im Wasser]

Bleibt für mich die Frage: Warum ging es bei Wojtyla so schnell (Santo subito!) und warum muss man bei Mutter Teresa so lange beraten? Ihr wird das ganze Brimborium egal sein.





Gebet

Die Stille ist ein Gebet. Gott die Stille anbieten - das ist es. Stille eint, sie eint auch mit Gott, viel mehr als Worte.

[Willigis Jäger. In jedem Jetzt ist Ewigkeit]





Sonntag, 6. März 2016

Papst und Invasion

Der Papst spricht gern locker und frei, und so kommt ihm das Wort von der arabischen Invasion über die Lippen, das in verschiedensten Medien diskutiert wird. 

Mein Bruder beschäftigt sich ausführlich mit dem Text des Papstes, und ihm fällt u. a. auf, "dass es eine rein politische Rede war. Wörter wie 'Islam', 'Christen' oder 'Glaubensgemeinschaft' kommen nicht vor. - Zufall oder Absicht?"

Nach längerer Diskussion sagt er am Schluss: "Franziskus - um nochmals auf den Ausgangspunkt zu kommen - hätte ruhig noch hinzufügen können, dass auch Religionen sich gegenseitig 'bereichern' können. Aber da wird es dann kritisch für ihn. Denn außer zu 'gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen', könnte es auch zu religiösen kommen. Das blendet er aus. Angesichts dieser Umbrüche empfiehlt er eine Rückbesinnung auf die kulturellen Wurzeln. Haben wir nicht auch religiöse Wurzeln? Aber die sind wohl nicht so glorreich. Wir wollen ja nicht wieder als Kreuzritter gen Osten reiten."

Ich habe dem nichts hinzuzufügen.





 

Samstag, 5. März 2016

Was tun?

Allenthalben wird überlegt, was getan werden kann, um Missbrauch durch Kleriker künftig zu vermeiden.

Ich fürchte, Missbrauch wird nicht zu verhindern sein, so lange sich nicht das Binnenmilieu in der Kirche ändert und die Kirche sich im Sinne einer Parallelgesellschaft geriert: Dabei geht es zum Beispiel um die Auffassung von einem überhöhten, idealisierten Reiheitsideal und um magisches Amtsverständnis, um die unausgesprochene Vorstellung, zölibatäres Leben sei in irgendeiner Weise "besser" als die Ehe ... 

"Man kann sich seine Sexualität doch nicht abtrainieren", so formulierte es einmal eine Moderatorin auf Bayern 2. Mancher Zölibatäre ist entweder permanent mit Verdrängung beschäftigt oder er sucht für sich einen Ausweg und hat ein schlechtes Gewissen.

Anthony de Mello war Jesuit und hat therapeutisch gearbeitet. Er schreibt in einem seiner Bücher: Wenn ihn Prostituierte aufsuchten, drehte sich das Gespräch überwiegend um Gott. Wenn Kleriker zu ihm kamen, ging es meist um Sex.

Warum fixiert die Kirche sich so sehr auf das Thema "Sexualität"? Schlummert hinter allem nicht immer noch eine Spiritualität der Wüstenväter der ersten Jahrhunderte, die Spiritualität von Menschen, von denen wohl nicht wenige neurotisch oder verklemmt waren?

Muss die "Kirche" das wirklich allen Klerikern überstülpen?






Freitag, 4. März 2016

Unser Weg

Mehr Offenheit jedes Einzelnen für das Ganze, das allein ist der Weg unserer Spezies in die Zukunft.

[Willigis Jäger. In jedem Jetzt ist Ewigkeit]





Donnerstag, 3. März 2016

Sie kommen!


Frauen sollen predigen dürfen, dies vertreten zwei Dominikanerinnen (Predigerorden!) und ein Mann (Gründer einer ökumenischen Kommunität). In der Kirchengeschichte fänden sich genug Beispiele, dass Frauen den Predigtdienst ausgeübt hätten. [Fundstelle]

Am vergangenen Sonntag habe ich die Predigt einer katholischen Gemeindereferentin hören können, um nicht zu sagen: dürfen. Sie hat das sehr gut gemacht, völlig unprätentiös, aber kompetent. Ganz anders als ein ziemlich unvorbereiteter Weihbischof, den ich um die Jahreswende anhören "musste".

Mädchen fungieren als Ministrantinnen, auch wenn Jesus nachweislich keine Ministrantinnen hatte.

Frauen dürfen nun in der Gründonnerstagsliturgie die Füße gewaschen werden, obwohl Jesus sie nur Männern gewaschen hat.

Wenn das so ist, dann fällt damit eine der Begründungen, mit der die Frauenordination abgelehnt wird: Jesus sei ein Mann gewesen, heißt es, also sollen auch die Priester Männer sein.

Frauen sind im Kommen! Kleriker aller Völker vereinigt euch!

....

Nein, nicht gegen die Frauen! Sondern zu ihrer Unterstützung!






Mittwoch, 2. März 2016

Sünde

"Unser tiefstes Wesen wurde durch Sünde nie berührt. Sünde ist abgespalten sein, getrennt sein. Was wir 'Sünde' nennen, ist Verdunkelung unseres wahren Wesens."

So drückt es der Zen-Meister und Mystiker Willigis Jäger [a.a.O.] aus. Wenn der Papst hingegen von Sünde spricht, hat er einen Beichtspiegel im Hinterkopf: Habe ich das oder jenes gemacht, habe ich mich hier oder dort verfehlt, "allein oder mit anderen"? 

Diese meine "Sünden" soll ich dann im Beichtstuhl aufsagen, um anschließend mittels Durchschreiten der heiligen Pforte einen Ablass auf die mir zustehenden Sündenstrafen erhalten zu können. 

Das ist mittelalterliches Denken, gegen das schon Luther vergeblich angekämpft hat. Gut gemeint, aber das Wesentliche verfehlend.






Dienstag, 1. März 2016

Eindeutigkeit

Wenn es um das Heil des Menschen und um die Gefahr für das ewige Leben geht, haben die Bischöfe eine noch viel größere Verantworltung (gemeint ist: größer als die Verantwortung des Verkehrs-TÜV). Das Wort Gottes ist sehr wohl eindeutig.

Das sagt kein Geringerer als der oberste Glaubenshüter Müller, und zwar in Richtung des Bischofs Overbeck, der es gewagt hatte zu schreiben, die Zeit der Eindeutigkeit sei vorbei, die Freiheit des Denkens müsse gestärkt und nicht reglementiert werden. [Fundstelle]

Aus den Worten Müllers spricht unverkennbar plattester Fundamentalismus und magisches Amtsverständnis. Die Bischöfe sind also für das Heil des Menschen verantwortlich, haben darüber zu wachen, dass das Wort Gottes nicht missverstanden werde. Wurde den Bischöfen durch Handauflegung etwa Infallibilität übertragen? Der Herr Kardinal sollte die Kirchengeschichte genau studieren, dann würde er sehen, wie oft und wie heftig gestritten wurde. So eindeutig und klar erkennbar, wie heute suggeriert wird, war die sogenannte Glaubenslehre für die Altvorderen nicht. Und sie ist es erst recht heute nicht.

Im Grunde müsste die ganze Bischofskonferenz aufstehen und der hochwürdigsten Eminenz die Grenzen aufzeigen.

Ich jedenfalls kann und will auf das eindimensionale Glaubensverständnis von Müller gut und gern verzichten.